Omnichannel ist Bullshit - gar nicht so absurd!

Launige Worte zum Einstieg: Gerade ist das neue Contact Management Magazine auf den Markt gekommen. Und es ist schön, wenn einem dann die Leser zu den eigenen Artikeln auch etwas schreiben. So schickt mir zum Beispiel Claudio Gisler zu meiner Businesspolemik "Omnichannel ist Bullshit" via Twitter die Einschätzung: "Wenn man's im Detail betrachtet, ist die Aussage gar nicht mehr so absurd." Hach wie mich so etwas freut. Damit Ihr Euch selbst ein Bild machen könnt hab ich den Artikel unten eingefügt.

CRM Ausbildung des Herbstes: Neben meinem Seminar Design Thinking haben wir das Touchpoint Konzept und das damit verbundene Zusammenspiel von on- wie offline auch in einem Kurs zusammengefasst. Im "CAS Online Shop und Sales Management" darf ich mich um die Entwicklungen von online zu offline und umgekehrt auslassen. Ohnehin ein toller Kurs mit dem "Who is who" von eCommerce und CRM Leuten. Und mal nicht ein Selbstdarstellungsshow des Kursleiters. Das ist noch angenehm. Das ganze startet schon am 21. August. Anmeldungen sind noch kurzfristig möglich.

Unser Weihnachtsbüchlein: Schöne Call Center Geschichten...

... von Agenten erzählt: Das ist unsere aktuelle Buchidee, zu deren Verwirklichung wir SIE ganz herzlich einladen! Was wir suchen: Die schönen, skurrilen, traurigen und verrückten Geschichten, die sich tagtäglich im Contactcenter ereignen. Die Idee dazu kam mir, als ich an meine eigene Zeit im Call Center zurückdachte: Frau Müller aus Leipzig rief an und hatte Probleme mit Ihrem "Ohne Tuch easy". Das es sich dabei um das Alcatel One Touch easy handelt, fanden wir erst nach mühevollen Fragereien heraus. Diese Geschichte habe ich in gewohnt blumiger Weise der grossartigen Claudia Gabler erzählt und die hat dann beschlossen, ein Buch draus zu machen.

Wir planen daher, etwa dreissig kleine Callcenter-Stories in einem fein editierten Band herauszugeben. Dieser soll zu Weihnachten 2015 erscheinen. Er soll als sympathisches Weihnachtsgeschenk für Mitarbeitende und Kunden dienen, welches aufzeigt, wie bewegend und menschlich die Arbeit im Callcenter sein kann und wie Gespräche mit Kunden in Erinnerung bleiben. Der Band soll zum Schmunzeln und Nachdenken anregen. Und er soll so auch die Einstellung zum Kundenservice über das Telefon ein Stück weit verändern. Und mitmachen können Sie hier!

Und nun kann man feststellen, WARUM Omnichannel wirklich Bullshit ist und warum es sich lohnt, dem Herdentrieb zu widerstehen:

Ich kann es nämlich nicht mehr hören. Omnichannel hier, Touchpoint Management da, Multi Cross Channel dort. Glauben wir wirklich der Kunde will das? Und hat überhaupt irgendjemand verstanden, wie das, was der Kunde will, umzusetzen ist? Und wie das zu langfristig profitablen Beziehungen beiträgt? Ich glaube: Nein!

Zunächst ist zu dieser ganzen Diskussion zu bemerken, dass die Bezeichnung „Kanal“ für den „Ort“ der Kundenkommunikation aus drei Gründen problematisch erscheint (siehe Bild!):

  1. Kanäle sind in der Natur begradigt und verbinden zwei wichtige Punkte miteinander. In Zeiten einer NzuN-Kommunikation im Kundenservice kann das nicht die Natur der gewünschten Unternehmenskommunikation sein. Auch aus Kostengründen nicht. 
  2. Kanäle haben klar definierte Grenzen. Das wird in der Unternehmensrealität oft durch Abteilungsgrenzen abgebildet. Wo viele Mitarbeiter im Grunde das gleiche machen (nämlich Kundenanfragen beantworten und Probleme lösen), sollten jedoch Abteilungsgrenzen aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten aufgehoben werden. Eine Fokussierung auf klar definierte Skills wie „telefonische Problemlösung“, „schriftliche Problemlösung via Chat“, „schriftliche Problemlösung via Twitter“, „schriftliche Problemlösung via email“ sowie aufeinander aufbauende Produkt- und Dienstleistungskompetenzen tragen zur gezielten Steuerung des Service in grösseren Einheiten bei und sorgen auch für eine attraktive „Kundenservice-Karriere“. So verhindert man das Bore-Out Syndrom bei diesen wichtigen Mitarbeitern. 
  3. Das ist ein Kanal!
  4. Das Wasser in einem Kanal fliesst lediglich in eine Richtung. Die Kanallogik entstammt einer Zeit, als man in Theorie und Praxis noch über integrierte Kommunikation geredet hat. Man ging davon aus, die Kommunikation zum Kunden könne 100%ig dadurch beeinflusst werden, dass zentral eine Botschaft formuliert („Kauf mich!“) und diese dann durch die gesamte Organisationspyramide zum Kunden getragen wird. Dadurch, dass der Kunde quasi gar nichts anderes mehr wahrnimmt als diese Botschaft, kommt er der Botschaft auch nach und kauft. In einer Zeit mit immer geringerer Werbewirkung und immer höherer Vernetzung, vielen Spontanaktivitäten in Form von Empfehlungen oder Warnungen bezüglich der Leistung von Unternehmen und damit kreisenden Erregungen in on- und offline Netzwerken (bspw. in jüngster Zeit der FIFA Skandal) ist die Kommunikation wesentlich weniger kontrollierbar geworden. Dialoge werden wichtiger und damit die Berührungspunkte (Touchpoints) an denen diese Dialoge stattfinden können. 
Grundlegende Idee des Omnichannel-Prinzips ist es, so lesen wir weiterhin in einschlägigen Quellen im Netz oder Fachzeitschriften „sämtliche Absatz- und Kommunikationskanäle parallel“ zu bedienen. Aha! Warum eigentlich? Wenn man diese Frage in Fachkreisen stellt, wird man mit grossen Augen angeschaut und bekommt gesagt: „Nils, weil unser Kunde das so will!“ Aha! Kann man glauben oder nicht. Entscheidend ist aber, diese Sichtweise mit weiteren Perspektiven auf das Touchpointangebot zu ergänzen:
  1. Nicht alles, was technisch machbar ist, wollen Kunden auch nutzen. So gibt es beispielsweise Touchpoints, die für die Kunden bestimmter Branchen irrelevant sind. Dies gilt insbesondere in BtoB Vertragsbeziehungen. Je weniger Kunden einen Touchpoint nutzen, um so weniger rechnet sich das trotzdem notwendige Monitoring oder der Betrieb dieses Touchpoints. Und auch umgekehrt: Will man als Kunde wirklich der zweite Anfragesteller auf Twitter sein, nachdem der erste dort vor fünf Monaten etwas gepostet hat?! Gleiches gilt für Self-Service-Communities. Diese müssen zunächst einen gewissen Grad an Content und Interaktionshäufigkeit aufweisen, damit der Kunde den Touchpoint überhaupt ernst nimmt und nicht direkt zum Telefon greift. 
  2. Nicht alles, was Kunden nutzen wollen, können Unternehmen auch anbieten. Einigen Unternehmen fehlen schlicht Kompetenzen bspw. im Social Media oder Community Bereich. Daraus resultiert häufig ein mittelmässiges oder halbgares Angebot an den Touchpoints. Es ist aber gerade für Neukunden oder Prospekts wichtig, an jedem zur Verfügung gestellten Touchpoint aktiv Kompetenz zu zeigen. 
  3. Nicht alles, was Kunden wollen, ist auch faktisch sinnvoll. So ist durch die Paneldaten des Service-Excellence-Cockpit seit langem bekannt, dass bspw. email kein effizient nutzbares Servicemedium ist. Dementsprechend sind exzellente Firmen dazu übergegangen, Kunden zur Weiterqualifikation eines eingehenden emails zunächst anzurufen und erst dann schriftlich zu antworten, um das teure email Ping-Pong zu vermeiden. Andere Unternehmen wie die britische RBS versuchen, ihre Kunden zum Touchpoint „Chat“ zu bewegen
  4. Nicht alle Touchpoints, die Kunden wollen, sind auch aus Wettbewerbsgesichtspunkten sinnvoll. Viel, was zur Zeit unter dem Begriff „Omnichannel“ vermarktet wird, bietet zu wenig Profilierung im Wettbewerb. Hierbei sollte man weniger auf die Zahl der zur Verfügung stehenden Touchpoints abstellen, sondern sich mehr um ein exzellentes Ergebnis an den bestehenden Berührungspunkten kümmern. Dies gilt insbesondere für den Servicekontakt. 
  5. Nicht alles, was Kunden wollen, ist auch bezahlbar. Wichtig ist es für jeden zusätzlichen Touchpoint einen individuellen Business-Case zu erstellen. Dabei ist die Kostenseite bestehend aus den Dimensionen Mensch, Prozess und Technologie fast immer der leichter zu bestimmende Teil. Anders sieht es auf der Nutzenseite aus. Was bringt ein neuer Touchpoint wirklich? Wieviel neue Kunden kommen wegen dieses Touchpoints? Wieviel Kommunikation kann über diesen Touchpoint günstiger abgewickelt werden? Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. 
Zum Schluss ist es bei all diesen Einwänden jedoch wichtig, was das Buzzword „Omnichannel“ eigentlich aussagen will. Es geht im Grunde genommen darum, dass der Kunde zwischen den Touchpoints des Unternehmens frei wählen kann. Und das an jedem Touchpoint alle Informationen über den Kunden vorliegen. Also man im Shop weiss, was der Kunde online bestellt hat, dass er im Contact Center gemeldet hat, dass die Grösse des Produkts nicht stimmt und er nun hier im Shop den Umtausch vornehmen will und darf, weil a) das passende Teil gerade hier ist und b) der Shop praktischerweise an seinem Arbeitsweg liegt. Die damit verbundene Aufgabe, die Kundenhistorie und alle relevanten Kundendaten an jedem bespielten Touchpoint vorzuhalten, ist jedoch eine Grundanforderung an das Kundenbeziehungsmanagement seit den späten 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Omnichannel bleibt also Bullshit.

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