CRM Trend 2011: Der Einsatz von Apps an der Kundenschnittstelle erfordert Organisationsanpassungen (wie uns Nokia und die SBB beweisen)!

Launige Worte zum Einstieg: Apps sind in aller Munde. So wurde im Januar das Wort "App" zum (amerikanischen) Wort des Jahres gewählt. Und der Zugang zu Apps über die "Öko-Systeme" der Betriebsplattformen Android, iPhone und Microsoft Windows Mobile wird für Telefonhersteller und Mobilfunkbetreiber immer entscheidender, wie die gestrige Ankündigung von Nokia zeigt. So wird  Nokia das eigene Betriebssystem Symbian nicht weiterentwickelt, da die Möglichkeiten des Systems begrenzt sind. Sehr erhellend ist in diesem Zusammenhang die "Brandrede" von Nokia CEO Stephen Elop, der am Mittwoch seinen Konzern aufgrund der fehlenden sexy Endgeräte als "brennende Ölplattform" bezeichnete. In dem Zusammenhang ein (erneuter) Dank an Pierre-Luc, ohne den mir dieser Artikel beinahe durch die Lappen gegangen wäre. 


Also, Apps sind wichtig. Aber, wie kann man als Unternehmen Apps an der Kundenschnittstelle nutzen? Und welche Fehler sollte man unbedingt vermeiden? Ein kleines Kundenerlebnis mit der SBB hat mir diese Fragen zu einem grossen Teil beantwortet.


CRM Erlebnis des Jahres 2010: Ohne Strom dafür mit Ticket auf dem iPhone und die Begegnung mit einem Kondukteur der SBB 


Ohne Frage, Apps sind hip. Jedes Unternehmen versucht, seine Inhalte auf iPhone und Co. zu bringen und diese damit im Bewusstsein der Kundschaft noch besser zu verankern. Apps sind damit eine Möglichkeit, mit dem Kunden zu interagieren, ja noch mehr, ihn zu identifizieren. Dummerweise sollte man aber, wenn man seiner Kundschaft ein App anbietet, wissen, inwiefern dieses Angebot die Erwartungen der Kundschaft an das Unternehmen verändert. Und diese Erwartungen auch erfüllen können.


Das schlechte Beispiel in diesem Fall sind die SBB. So haben die SBB im Jahr 2010 das Kaufen eines Billets über Ihre iPhone App ermöglicht. Keine Frage: der Kauf funktioniert einfach und reibungslos. Doch mit dem Kauf erwartet die SBB von ihrem Kunden, dass er sich en Detail mit zum Teil völlig anderen Geschäftsbedingungen als beim Papierticket auseinandersetzt und gravierende Nachteile in Kauf nimmt. Ein paar Beispiele: 
  • Das Ticket muss vor Antritt der Fahrt gelöst werden, sonst ist nicht gültig. Ist keine Netzverbindung da, oder kommt der Zug während des Downloadvorgangs, kann es vorkommen, dass der Kondukteur das Ticket nicht akzeptiert. Schön auch, wenn der Zug Verspätung hat und das Ticket nicht akzeptiert wird, da es NACH der offiziellen Abfahrtszeit gelöst wurde.
  • Fährt man nicht am gleichen Kalendertag hin und zurück muss man zwingend zwei separate Tickets für jeden Tag kaufen und laden. Auf diesen Sachverhalt weisen die SBB erst seit November hin. Während dessen durfte jeder Kunde, der das nicht wusste ein neues Rückfahrtticket kaufen. 
  • Geht einem unterwegs der Strom aus, ist man Schwarzfahrer und wird als solcher behandelt. 
Diese drei Sachverhalte allein genügen, dass einem der jeweilige Kondukteur auch gerne mit einem markigen Spruch klarmacht, dass man durch ein eTicket auf dem iPhone ihm, dem Kondukteur das Leben schwerer macht, als es ohnehin schon ist. Allein diese Unsicherheit, ob man, der Kondukteur, nun den roten oder den grünen Laser verwenden sollte. Ich persönlich könnte nicht schlafen aufgrund dieser Unsicherheit.


Nun, und wenn man dann einen schlechten Tag hat, wie Kondukteur L. am 18.12. und auf den deutschen Kunden Hafner trifft, dem ca. 5 Minuten vorher der Strom am iPhone ausgegangen war, dann wird`s wohl offenbar laut. Jedenfalls darf man dann offenbar bei der SBB im Zug ausrufen: "Ich habe jetzt genug" und den Gast laut als Schwarzfahrer vorführen bis dieser sich genötigt sieht, den vollen Fahrtpreis noch einmal zu entrichten, damit der Zugbegleiter aufhört, andere Gäste in seine Auseinandersetzung mit mir einzubeziehen. Auf die (schriftliche) Beschwerde meinerseits antwortet mir am 22.12. der Kundendienst St. Gallen in Gestalt von Herrn W.: 


"Vielen Dank für Ihre E-Mail. Schön, dass Sie mit uns in der 1. Klasse unterwegs sind und dazu «SBB Mobile» aus dem «App Store» nutzen. Gleichzeitig bedauern wir Ihre Verärgerung einerseits über die Benutzungsbedingungen von Mobile-Tickets und in diesem Zusammenhang, andererseits, über die Begegnung mit einem unserer Zugbegleiter. Dafür bitten wir Sie um Entschuldigung.

Mobile-Tickets sind, wie alle anderen Fahrkarten auch, vollständig sicht- und lesbar unserem  Kontrollpersonal vorzuweisen. Ist das nicht der Fall, sind MobileTickets zur Fahrt ungültig und werden nicht erstattet. In solchen Fällen behandeln wir unsere Kunden gleich wie jene mit einem "normalen" (fehlenden) Papiertickets. Die entsprechende Information erhalten Sie hier:
http://mct.sbb.ch/mct/reisemarkt/billette/mobile-ticket.htm

Die Möglichkeit, Billette nach der Reise vorzuweisen gibt es auch bei den ausgedruckten (Online) Billetten nicht. Lediglich vergessene persönliche Kundenkarten (Halbtaxabo, Generalabo) können nachträglich gegen eine Gebühr an unseren Verkaufsstellen vorgewiesen werden.

Wir erwarten von unseren Mitarbeitern, dass sie kompetent, freundlich und hilfsbereit gegenüber unseren Kunden auftreten. Das von Ihnen beschrieben Verhalten deckt sich nicht mit diesen Erwartungen und wir haben deshalb Ihre Rückmeldung dem Vorgesetzten des betroffenen Mitarbeiters zur Verfügung gestellt. Er bestätigt, dass Sie mit unserem Mitarbeiter einen Wortwechsel rund um das stromlose iPhone hatten und seine Aufforderung nach einem Billettkauf (mit seinem Hinweis auf die AGB) nicht akzeptieren wollten. Zur Situation auf dem Bahnsteig: Unser Mitarbeiter hat sich zwar mit einer Arbeitskollegin über einen Kunden unterhalten, dabei aber weder auf Sie gezeigt noch Sie beschimpft.

Sollten Sie die von Ihnen erwähnte Veröffentlichung mit voller Namensnennung aller Beteiligten publizieren, werden wir über unseren Rechtsdienst entsprechende Schritte prüfen.

Wir hoffen, dass wir Sie trotz diesem Zwischenfall wieder in einem unserer Züge begrüssen dürfen und wünschen Ihnen eine gute Fahrt."

   
Fazit: Die App der SBB erleichtert einem das Leben nicht und die damit verbunden Prozesse und das Mitarbeiterverhalten sind nicht auf ein 1zu1 Geschäft ausgerichtet, obwohl ein solches PROBLEMLOS möglich wäre. Wenn der Kunde seine Erwartungen einfordert, wird er beschimpft. Wenn er die Veröffentlichung des Sachverhaltes in Aussicht stellt, wird er mit dem Rechtsdienst bedroht. Da mir das herzlich schnuppe ist und ich ein Unternehmen, das seine Kunden so wenig ernstnimmt, ebenfalls nur schwer ernst nehmen kann, hier mal ein paar Gedanken zum Nachdenken für die SBB:
  • Wie einfach ist es bitte, am nächsten Tag ein gültiges Ticket mit dem entsprechenden Zeitstempel am Schalter vorzuzeigen, wenn das Gerät wieder Strom hat? Mit Halbtax/GA geht das auch und diesen Prozess gibt es schon. Mit einem Lesegerät am Bahnhof, müsste man noch nicht einmal Personal bereit stellen.
  • Wie einfach ist es bitte, sich als Kondukteur freundlich auf einen Gast einzustellen, der immerhin in der ersten Klasse den normalen Fahrtpreis zahlt und damit hinsichtlich der einzelnen Reise zu den profitabelsten Gästen gehört? Und der vielleicht auch nicht besonders glücklich mit dem fehlen Strom auf dem iPhone ist, das Problem aber binnen fünf Minuten gelöst hat. 
Offenbar ist die SBB nicht bereit die dafür notwendigen Veränderungen einzuleiten. So bleibt eine (sehr perspektivenreiche!) App Stückwerk, die lediglich Kunden und Mitarbeiter verärgert und zu Imageschaden führt, der in vollem Bewusstsein in Kauf genommen wird. Woher ist das weiss: Ganz einfach, denn (o Wunder!), einen Tag nach meiner Beschwerde, will plötzlich der Mediensprecher der SBB, Christian G. auf Xing einen Kontakt zu mir, den ich freundlich bestätige. Einen Tag später erhalte ich obige Antwort... Das Gesamtbild ist hier leider sehr rund. Daher habe ich mir in diesem Kontext auch den Originaldialog mit dem Kondukteur gespart, den ich bei Bedarf gern nachreiche...


Fazit: Durch den Einsatz einer modernen Apps ändert sich in vielen Fällen das Geschäftsmodell. Unternehmen gehen mit diesem Wandel zum Teil viel zu sorglos um. Plötzlich ist der anonyme Kunde nicht mehr anonym und man kann seine Handlungen viel besser analysieren und beeinflussen. Doch mit diesem Vorteil ändert sich auch die Ansprüche des Kunden. Er weiss, dass das Unternehmen neue Informationen über ihn hat und fordert eine adäquate Behandlung durch Organisation und Mitarbeiter.


CRM Studie zu diesem Thema: Qualcomm "Going beyond an Application store"
Smartphones sind besonders in der Schweiz stark auf dem Vormarsch. In keinem anderen Land der Welt ist das iPhone relativ zur Bevölkerungszahl so häufig vertreten. Folgerichtig wird in den letzten Monaten wird viel diskutiert, inwiefern Apps on- oder offline der Zielgruppe zur Verfügung stehen sollten. In diesem Zusammenhang weisen die Experten des Unternehmens Qualcomm darauf hin, dass:

  • 63% of mobile users would spend more time accessing online information or would purchase more content if it were personalized and easier to find.
  • 80% of users reported experiencing a problem obtaining content on their mobile handsets.
  • 58% of users believe it is important that their content moves with them, regardless of their mobile device.
Es ist also für den Endkunden wichtiger, den von ihm präferierten Content jederzeit auf dem von ihm präferierten digitalen Endgerät zur Verfügung zu haben, als sich darüber Gedanken zu machen, ob dieser Sachverhalt nun durch eine Applikation oder einen online Service des Unternehmens gewährleistet werden kann. 


Sicher ist dabei, dass es für das Unternehmen gilt, die wichtigsten Zugangsmöglichkeiten zum gewünschten Content einfach parat zu stellen. So steht bspw. der Zugang zu sozialen Netzwerken wie Facebook weit oben auf der Liste der meistgenutzen Applikationen der wichtigsten Smartphones.

Zum Schluss: Wie macht man es richtig - Wie die französische Versicherung Groupama es schafft, über eine mobile Service-App Mehrwert zu generieren:

Den folgenden Videobeitrag habe ich auf dem Blog "inside CTI" gefunden. So cool. Man hat die Verbindung zum Anbieter als Kunden auf einen Klick, sieht wie lange man warten muss und kann u.U. auch zu Self-Service auf dem Internet wechseln. Aber zu Self-Service und Service-Communities auf dem Netz, erzähle ich ein anderes Mal...   




Kommentare

T. Blümlein hat gesagt…
Hi Nils,

kleine Anmerkung zum SBB-Fazit: Denkbar wäre zum Beispiel auch, dass der Kondukteur - sofern er mit entsprechender Technik ausgestattet wird - die Möglichkeit erhält, auf dem SBB-Server nach dem elektronischen Ticket des Fahrgastes zu suchen. Das sollte technisch machbar und nach Einwilligung des Kunden auch juristisch vertretbar sein - insbesondere wenn der Kunde über ein Halbtax-Abo eindeutig zu identifizieren ist.

Ich denke, dass wäre ein netter Beitrag zur Kundenbindung.

Beste Grüße in die Schweiz, Torben
Prof. Dr. Nils Hafner hat gesagt…
Danke, lieber Torben, leider Fehlanzeige. Die wollen nicht! Und bringen das meiner Meinung nach dem Kunden auch klar rüber. Jeder Handschlag für den Kunden macht dort offenbar die Mitarbeiter unzufriedener... Und es wär wirklich einfach ...
Prof. Dr. Nils Hafner hat gesagt…
Nachtrag am 18.3.: Da der Dialog mit den SBB so langsam in Gang kommt, habe ich als Geste die Nachnamen mal auf den ersten Buchstaben reduziert...

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