Wieviel Roboter braucht die Kundenbeziehung? - Fachartikel anlässlich des Swiss CRM Forums vom 5.6.08

Meine Frau nörgelt. „Es sieht anders aus, fühlt sich anders an und es ist englisch!“ so lauten ihre Vorwürfe. Was ich verbrochen habe? Eigentlich nichts. Ich habe ihr nur die neueste Version von Microsoft Word auf ihren Mac gespielt. Halt verbessert und auf englisch. Den Teil „verbessert“ habe ich offenbar mangelhaft kommuniziert. Was hier im kleinen schief läuft, ist im grossen also im unternehmerischen Alltag oft nicht besser.

Woran liegt es eigentlich, dass Technologie oft negativ polarisiert? Sind wir eigentlich als Menschen grundsätzlich technophob?
Nein, sagen die Forscherinner Eva-Maria Jakobs und Kirsten Schindler. Sie haben das Alltagsduell „Mensch gegen Technik“ einmal näher untersucht und erläutert. Unter der Fragestellung "Wie gehen die verschiedenen Generationen und Geschlechter mit Technik um, wie nehmen sie diese wahr?", wurden Schüler und Studierende zu ihrer Einstellung gegenüber Technik befragt. Dabei kamen teils überraschende Ergebnisse bezüglich der Technikkonzepte junger Erwachsener und der von ihnen thematisierten Zugangsbarrieren zu Tage.
Besonders bedenklich erscheint den Wissenschaftlerinnen, dass Schüler und Schülerinnen sich zwar für Experten im Umgang mit der Technik halten, jedoch lediglich geringes Interesse zeigen, sich intensiv mit der Komplexität der Materie zu befassen. Das Mobiltelefon, dessen Entwicklung ihrer Meinung nach den größten, ihr Leben prägenden Fortschritt der letzten 20 Jahre darstellt, nutzen sie nur mit seinen Grundfunktionen. Komplexere Features werden meist ignoriert. Probleme werden an Fachpersonal weitergegeben, oder es wird direkt ein neues Gerät angeschafft.

Offenbar fasziniert Technik an und für sich nur oberflächlich. Die Forscher Davis und Venkatesh (siehe Bild) haben sich intensiv damit beschäftigt, wie Akzeptanz für eine bestimmte Technologie entsteht. Die Haupteinflussfaktoren für eine derartige Akzeptanz sind demnach die durch den Nutzer wahrgenommene „Nützlichkeit“ und die wahrgenommene „Einfachheit“. Und genau an diesem Modell kann man, wenn man auf das Beispiel meiner Frau zurückkommt, erkennen, was ihr (und damit auch mein) Problem war. Ihre Intention war es, einfach und schnell einen Text zu verfassen (im Gegensatz zu mir ist sie nämlich Journalistin). Ob sie diese Aufgabe nun an einer alten oder an der neuesten Version von Microsoft Word erledigt, ist ihr egal. Auch die (in der neuen Version verbesserten) Layoutmöglichkeiten spielen für sie keine Rolle. Also: „Wahrgenomme Nützlichkeit“ der Veränderung gleich Null. Dafür ist das ganze plötzlich auf Englisch. Und wer mir nicht auf Anhieb sagen kann, was „Silbentrennung“ auf Englisch heisst (nämlich „Hyphenation“) und wo man das im Word findet, der versteht vielleicht, warum es insbesondere für die „wahrgenommene Einfachheit“ Abzüge in der B-Note gibt.
Eine besondere Rolle spielt dabei die Gewöhnung der Nutzer. Genau daran liegt es nämlich, dass der Durchschnittsmensch einen Bancomaten gut bedienen kann, aber an der neuen „verbesserten“ Software der SBB Ticketautomaten scheitert. Dieser Effekt hat jedoch einen immensen Einfluss auf die Kundenbeziehung. Es ist verblüffend: Wenn Sie sich beispielsweise gefragt haben, warum sie in der letzten Zeit so viele wütende Menschen an SBB Bahnhöfen sehen, jetzt wissen Sie es.

Doch mal ehrlich, sehen Bancomat-Benutzer nun glücklich und rundum zufrieden aus? Nein, denn bei der Alltagstechnologie handelt es sich um Hygienefaktoren der Kundenzufriedenheit. Ist Alles ebenso einfach wie nützlich, ist der Kunde zufrieden aber nicht loyaler zum Unternehmen. Doch wehe etwas funktioniert nicht wunschgemäss. Dann sinkt die Loyalität nachgewiesenermassen.

Gleiches gilt im Bezug auf Business-Software, die in der Regel von Mitarbeitern des Unternehmens bedient wird. Der Kunde erwartet im Service einen reibungslosen Ablauf. Die ehrliche Antwort des Mitarbeiters wird oft als „Ausrede“ verstanden: „Unser System tut grad nicht“, wird vom Kunden kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen. Damit wird dem Mitarbeiter seine Inkompetenz deutlich bewusst. Die Unzufriedenheit des Kunden überträgt sich auf den Mitarbeiter und damit auch auf seinen nächsten Kundenkontakt. Eine Abwärtsspirale der Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit droht. Die Service-Profit-Chain lässt grüssen.
Es geht also bei der Einführung von neuen Systemen im Unternehmen nämlich darum, dass insbesondere die Mitarbeiter an der Kundenfront ihre Kunden kompetent bedienen können. Die höchste Stufe der Kompetenz ist die sogenannte „unbewusste Kompetenz“, die durch sehr viel Know-How, Übung und Routine entsteht. Ein typisches Beispiel dafür ist das Autofahren. Jeder, der seit einigen Jahren häufig autofährt, hat mit der Zeit eine gewisse Routine entwickelt. Sie macht es uns erst möglich, uns neben dem Fahren aufs Reden, Telefonieren, Essen, Trinken oder Radiohören zu konzentrieren.

Befindet sich der Mitarbeiter bezüglich der Systemnutzung auf der niedrigeren Stufe der „bewussten Kompetenz“ muss er sich ständig auf das System konzentrieren, um keine Fehler zu machen. Doch das goutiert der Kunde ebenfalls nicht. Kein Wunder, Mitarbeiter, die einem Checklisten vorlesen und abhaken oder sich hinter ihrem Laptop verschanzen, können einem Kunden gar nicht die Aufmerksamkeit schenken, die dessen Anliegen an das Unternehmen verdient.

Es geht also primär bei der Einführung neuer Technologien im Unternehmen darum, einerseits den Nutzen dieses Systems für jeden einzelnen Mitarbeiter gezielt zu kommunizieren. Das zeigt auch die Retailbanken-Studie der Firma COMIT AG. Andererseits muss durch nachhaltiges Training und Coaching, die geforderte Kompetenz aufgebaut werden. Dabei ist es wichtig, dass das mangelnde Interesse an der Technologie durch eine unterhaltsame und wirkungsvolle Präsentation so untermauert wird, dass diese noch lange im Kopf beliebt. Interessanterweise wird ein derartiges „Change Management“ häufig von der zuständigen Projektleitung als weniger wichtig eingestuft. Die Projektleitung denkt dabei häufig an die Erfolgsparameter „Einführungszeit“ und „Einführungskosten“. Die oben ausgeführten Probleme hat nachher ja die Linienorganisation. In sofern verharren leider viele Unternehmen im untersten Stadium der Kompetenz zu Beginn eines Technologieprojektes, der unbewussten Inkompetenz oder „Doof aber glücklich“. Doch mit Folgen eines solchen Verhaltens haben anschliessend viele zu kämpfen.

Ein hervorragendes Beispiel für eine professionelle Einführung eines neuen Kernbankensystems stellt das Projekt „SWITCH“ bei der St. Galler Kantonalbank dar. Selten ist bankintern so viel Wert auf professionelle Kommunikation und Schulung gelegt worden. Und eine reibungslose Einführung von AVALOQ über Ostern 2008 zeigt auch die Belohnung dafür eindrücklich auf. Als verantwortlicher Trainer für das Thema CRM kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, SGKB!
Und aus diesem Projekt lerne ich jetzt auch für den Umgang mit dem Mac meiner Frau.

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